Liebe Leserinnen, liebe Leser,
was können Sie gegen ermüdende Routine tun? Zum Beispiel etwas Neues, etwa ein aufregendes Hobby anfangen. Sie können aber auch ein Ihnen noch unbekanntes Urlaubsziel ansteuern. Das habe ich gerade getan - mit durchschlagendem Erfolg, denn die norwegischen Fjorde gleichen Landschaften aus Fantasy-Romanen. Am einfachsten ist es, Sie laden Freunde von weit her zu Besuch ein und führen diese durch eine Ihnen eigentlich vertraute Umgebung so wie ich vergangene Woche. Schon der Gang zum Supermarkt wird zum Erlebnis.
Sie zeigen auf Bäckereien, die es vor Kurzem hier noch nicht gab, oder weisen auf den scharfkantigen Neubau zwischen den Häuserzeilen aus dem 19. Jahrhundert hin oder versuchen verzweifelt, sich an den genauen Termin der Eröffnung des Rathauses zu erinnern. Erstaunt wie ich werden Sie feststellen, in was für einer interessanten Gemeinde oder Stadt Sie eigentlich leben.
Ähnliche Erlebnisse könnten Sie haben, wenn Sie unsere Wanderung der Woche nicht alleine bewältigen, sondern ortsfremde Begleiter mitnehmen und vor diesen
als Fremdenführerin oder Fremdenführer überzeugen wollen. In Ihrem vorbereitenden Crashkurs werden Sie herausfinden, dass der Brunnen vor dem Rathaus in
Treuenbrietzen im kommenden Jahr seinen 110. Geburtstag feiert, die bekannte Sabinchenfigur, die seine Mitte ziert, aber erst 1984 nach der Rekonstruktion des Brunnens aufgestellt wurde.
Vielleicht wollen Sie auch noch ein paar Zeilchen aus der schaurigen Moritat zitieren, um derentwillen die Figur aufgestellt wurde. Sie werden dann finden, dass das ausgerechnet hier stehende Frauenzimmer Sabinchen eigentlich gar keine Ortsansässige ist. Aus Treuenbrietzen kommt vielmehr jener verlotterte junge Mann daher, der ihr zum tödlichen Verhängnis wird.
Der Brunnen ist jedoch nur Ausgangspunkt für unsere Wanderung der Woche. Für die müssen Sie sich sogar, sofern Sie Ihrer Rolle als Fremdenführerin oder Fremdenführer gerecht werden wollen, mit einem geohydrologischen Begriff rüsten. Dadurch können Sie künftig auf Phänomene stoßen, an denen Sie bislang vielleicht achtlos vorbeigingen und auf die Sie jetzt aufmerksam werden, weil Ihr Besuch auf einmal fragt “Aber was ist denn auf einmal mit diesem Bach los?”.
Unter Umständen entdecken Sie bei solchen Besuchen auch Vorzüge Ihres Wohnorts, die Ihnen gar nicht bewusst waren. Zum Beispiel setzte ich es immer schon als selbstverständlich voraus, dass es zumindest in pandemiebefriedeten Zeiten
im Sommer ein Open-Air-Kino gibt. Zu meiner Verblüffung musste ich beim Plaudern mit meiner Besucherin feststellen, dass eine vergleichbare Institution in Heidelberg, von wo die Bekannte herkommt, zumindest für den Sommer 2022 nicht so leicht zu finden war. Zur Erinnerung: Heidelberg ist eine der bedeutendsten Studentenstädte Deutschlands, jung und dynamisch. Da ein Open-Air-Kino so gesehen vielleicht etwas Seltenheitswert hat, wollen wir das “Waschhaus-Open-Air” in Potsdam als
Fundstück der Woche näher in den Blick nehmen.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende!
Ihr
Rüdiger Braun
MAZ-Autor